Ein Alibi
aus Stoff
Quizfrage: Was ist los, wenn man weiße Mäuse mit
Lippenstiftspuren im Gesicht sieht? Oh pardon, ich meine natürlich Polizisten
mit einem Kussmund auf den Wangen! Genau: Rosenmontag in Erkelenz, einer
beschaulichen Kleinstadt an der B57 zwischen Aachen und Mönchengladbach.
Feiertag in einer der ältesten Karnevalshochburgen der Region. Selbst in nicht
alkoholisiertem Zustand tragen Hund, Katze, Maus und fast jeder Mensch,
Papphütchen auf dem Kopf oder sind sonst irgendwie verkleidet. Die Geschäfte
der Kleinstadt, bis auf die großen Supermärkte, schließen pünktlich um 12.00 Uhr,
High Noon eben. Jeder Anwohner und Jeck aus den umliegenden Ortschaften eilt in
die Innenstadt, um am Zugweg einen guten Platz zu ergattern. Pünktlich um 14.11
Uhr startet der närrische Lindwurm mit seinen rund 75 Wagen und Fußgruppen. Bis
spätestens 16.30 Uhr fängt man Kamelle und ruft „Maak Mött“, was so viel wie:
„Mach mit“ bedeutet. Danach wird in der Stadthalle und den Gaststätten
geschunkelt, gebützt (geküsst) und gefeiert. Bis zum Morgengrauen.
Dieses Mal gab es einen Zwischenfall. Eine hübsche Teufelin
kippte, inmitten der Menschenmenge, um und lag eine Weile auf dem Gehweg. Es
dauerte einige Minuten, bis die Leute reagierten und den Rettungswagen riefen.
So etwas passierte nun Mal am Rosenmontag. Mit Blaulicht und Tatütata suchte
sich der orange Wagen seinen Weg. Die Frau wurde eingeladen und binnen Minuten
war der Spuk vorbei. Bloß keine Störungen im Ablauf des närrischen Treibens.
Keiner machte sich darüber Gedanken, an diesem hohen Feiertag in Erkelenz.
Jetzt lag die Frau nackt auf dem Stahltisch der Pathologie
in Mönchengladbach. Ihr langes, schwarzes Haar umrahmte das blässlich,
wächserne Gesicht. Ihr schlanker, gut proportionierter Körper zeigte die üblichen
Schnittstellen der Untersuchung. Auf der Brust waren die Abdrücke des
Defibrillators zu erkennen.
Kommissar Stolz wollte eigentlich zum Veilchendienstagszug
in die Stadt, denn dort war heute Feiertag. Er trug einen Clownshut, hatte eine
dicke, rote Nase aufgesetzt und seine schlanke Figur steckte in einer bunten,
viel zu großen, karierten Latzhose. Der Pathologe hatte sich die Laborwerte
besorgt und trat lachend auf den Beamten zu. „Wat sind se schick, wollen se
noch zum Zug? Also, die Dame wurde verjiftet“, sagte er im hiesigen Dialekt.
„Mit Glycol, sowat hat man normalerweise im Kühler. Dat dolle is, man schmeckt
dat nich im Schnaps. Die Hübsche hatte Einiges intus, 2,8 Promille“. „Deshalb
dachten die Sanitäter gestern, sie hätte eine Alkoholvergiftung“, fügte Stolz
hinzu. „Hat sie ja nu auch“, kicherte der Mediziner. „Die haben noch allet
versucht, war aber schon zu spät“. „Was ist, wenn sie sich selbst einen
Todescocktail gemixt hat?“ „Ausschließen kann man dat nich, würde mich aber
wundern. Wer stirbt freiwillig beim Feiern?“, prustete der Pathologe. „Bei so
was ist die Chance, den Mörder zu finden, gleich Null. War viel zu viel los.
Jeder hätte der Frau Glycol unterjubeln können. Man kennt das ja, vom Wagen aus
werden die kleinen Fläschchen gereicht, die Fußgruppen haben Babyflaschen, mit
denen die Jecken abgefüllt werden und fast jeder hat irgendwas Hochprozentiges
im Gepäck. Das Umfeld der Toten. Vielleicht finden wir dort ein Motiv, das uns
zum Mörder führt. Und jetzt geh ‘ich feiern“, sagte der Kommissar und winkte
dem Pathologen zu. Traurig schaute dieser Stolz hinterher. „Und ich armer Jeck
darf weiter schuften: „Halt Pohl“, rief er, das war der Karnevalsruf von
Mönchengladbach.
„Am Aschermittwoch ist alles vorbei“, schmetterte die
Sponheimer den Oldie aus dem Radio. Stolz, ziemlich verkatert, drehte die
Lautstärke leiser. Er war auf dem Weg nach Erkelenz. Die Kollegen würden ihn
unterstützen. Sie trafen sich auf dem Polizeipräsidium an der Kölner Straße. „Nochmals
zu den Personalien des Opfers: Ute Schmal, 28 Jahre, seit einem Jahr
geschieden, wohnhaft in Erkelenz, alleinstehend, nicht berufstätig. Nur die
Mutter lebt noch in Duisburg, wo sie geboren wurde. Kein Eintrag im
Bundeszentralregister, keine Vorstrafen, noch nicht einmal Punkte in Flensburg“,
ratterte ein Polizist die Informationen herunter. „Außerdem haben wir bei der
Wohnungsdurchsuchung keinen Abschiedsbrief oder Glycol gefunden, was Selbstmord
ausschließt“. „Toll, das ist ja echt viel“, meinte Stolz sarkastisch. „Wir
sollten zuerst die Zeitungen bitten nach Zeugen zu suchen. Den WDR und RTL
könnten wir mit ins Boot nehmen. Soviel ich weiß, werden doch Fotos vom
Geschehen gemacht. Die müssen gesichtet werden, vielleicht haben wir Glück und
die Dame ist irgendwo zu sehen, mit denen, die bei ihr standen. Ach ja und den
Exmann müssen wir ausfindig machen“. Stolz nahm sich die Tasse Kaffee, die ihm
gereicht wurde. „Wenn Sie mich fragen, haben wir eine Chance von eins zu einer
Million“, keuchte ein etwas dicklicher, Kollege aus der Ecke. „Stimmt, aber
versuchen müssen wir es“, sagte der Kommissar bedauernd. An den folgenden Tagen
wurden tausende Fotos vom Karnevalsumzug bewertet und die Zeitungen suchten
nach Zeugen. Der Exmann war nach Thailand ausgewandert. Darum musste sich
Interpol kümmern. Schließlich meldeten sich zwei Frauen, die mit dem Opfer
befreundet waren. „Wir hatten uns getrennt. Zwei schnuckelige Clowns entführten
uns zum Marktplatz. Ute war da geblieben. Um uns herum waren alle verkleidet. Kondome, Schweine,
Gartenzwerge und ganz viele Morphsuitträger“, erklärte eine der Beiden. „Was,
um Himmels Willen, ist das?“, fragte Stolz verblüfft. „Na die
Ganzkörperkondome. Die blauen, grünen oder bunten, eng anliegenden Anzüge, die
den ganzen Körper verhüllen. Die sind wie eine zweite Haut. Mit denen kann man
sehen und sogar trinken, trotzdem ist man unsichtbar“. „Ach du grüne Neune!
Stimmt, die sind mir gestern auch aufgefallen. Man schließt sie mit einem
verdeckten Reißverschluss hinten zu“, sagte der Kommissar. „Das ist die neue
Welle aus den USA“. Der dicke Beamte in seiner Ecke, hatte längst im Internet
die Suchmaschine angeworfen und die entsprechende Seite aufgerufen. Er zeigte
auf den Bildschirm. „Hier, das sind die Dinger. Sie werden von einer Firma in
Deutschland vertrieben. Man kann sie aber auch direkt aus den USA beziehen“,
schweratmig und leicht pfeifend wendete sich der Polizist ab. „Sind Sie
krank?“, fragte Stolz genervt. „Asthma“, kam es zurück. „Wir könnten uns eine
Liste erstellen lassen, wohin solche Anzüge verschickt wurden“, bemerkte eine
weibliche Beamtin die hinzu getreten war. „Das bringt nicht viel. Am Opfer
wurden zwar viele, fremde DNA Spuren gefunden, aber der Täter hat sicher keine
hinterlassen. Fingerabdrücke sowieso nicht und wenn durch den Anzug auch Schweiß
oder Körperflüssigkeiten austreten können, er brauchte die Frau nicht berühren,
um ihr eine Flasche mit Glycol zu geben“. Kommissar Stolz war selbst
überrascht, wie genial so ein Morphsuit war. „Ehrlich gesagt sehe ich keine
Möglichkeit den Mörder zu finden. Nachdem auch Interpol gefaxt hat, dass der
Exmann zur Zeit des Mordes brav auf Koh Samui, bei seiner Liebsten, gesessen
hat, haben wir definitiv keine Spuren, die uns zum Täter führen“, sagte er
resigniert. Das Verfahren wurde eingestellt. Einer von vielen, ungeklärten
Mordfällen.
ER hatte es wieder getan. Halloween, Mitternacht,
Geisterstunde. Das wurde in Erkelenz genauso zelebriert, wie der Karneval. Im
Dunkeln war es noch einfacher. Er war außer Atem. Wieder Glycol. Jede
Gelegenheit wurde genutzt, um zu saufen. Wie praktisch. „Ich habe die Macht. Endlich!“.
Er sprach zu sich selbst und posierte, wie Supermann, vor dem Schaufenster
einer Buchhandlung. „Hej du Morph! Könntest etwas abspecken“, rief ihm eine
Gruppe Jugendlicher zu, die
Horrorfratzen trugen. Sie wankten grölend an ihm vorbei. „Ja, Ja, macht
euch nur lustig über mich. Ich bin unsichtbar und habe die Möglichkeit, euch
ins Jenseits zu befördern“. Dieses Mal hatte es seine Friseurin erwischt. Halloweenparty bei Silvie`s Haircut, stand auf
den Plakaten überall in der Stadt. Er hatte sich unter die Partygäste gemischt.
Wie immer gab es Prosecco, das Lieblingsgesöff von Silvie. Niemand bemerkte,
wie er die Flaschen austauschte. Genau wie bei Ute, der Schlampe. „Erst geil
machen, dann abservieren. Mit mir nicht. Mit fuffzich lass` ich mich nich mehr
verarschen“. Er keuchte und pfiff. „Dieses verdammte Asthma“, brummte er.
Keiner würde ihn entlarven. Das Stück Stoff an seinem Körper war sein perfektes
Alibi. Das Beste war, dass er den Anzug imprägniert hatte. Keinerlei Spuren
würde man finden. Selbst seine Kollegen hatten keine Ahnung. Sie trauten ihm
sowieso nichts zu. Seine Frau ahnte ebenfalls nichts. Weder von seiner Lust auf
Frischfleisch, noch von dem Morphsuit. Die saß jetzt mit ihren Freundinnen in
der Kneipe und ließ sich volllaufen. Halloween eben. In einer dunklen Ecke
befreite er seinen Kopf, zog sich den Vampirumhang über, den er dort deponiert
hatte und legte das künstliche Gebiss ein. Jeder glaubte das Morphsuit gehörte
zum gruseligen Outfit. Er ging zurück in die proppenvolle Kneipe. Niemand hatte
ihn vermisst.
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