Mittwoch, 19. September 2012

Hunger





Freudig erregt und leicht wippend stierte er auf das, was ihn in Kürze befriedigen würde. Jeden Morgen um 10.00 Uhr bekam mein acht Monate alter Sohn Nils seine kulinarische Zwischenmahlzeit: gematschten Bananenbrei auf Kinderkeks. Ich wollte gerade die erste Fuhre zielgerichtet in seinen Mund schaufeln, als es an der Haustür klingelte. Nils schnappte den Löffel und Matschepampe landete gekonnt auf meiner neuen Bluse. Es klingelte wieder. „Komm mein Kleiner, wir müssen schauen, wer da so nervt!“, sagte ich und nahm ihn auf den Arm. Nils beschwerte sich lauthals, bis er den Bananenschleim in Augenhöhe entdeckte.
Mit Schwung öffnete ich die Haustür. Ich sah eine zu groß geratene, gelbe Jacke, in der ein zu klein geratener Mann steckte. „Küss ‘die Hand gnädige Frau, ich bin der Schorschi vom Eisfürst“, säuselte er in schönstem Wiener Slang. Er grinste breit. Fettige, blonde Locken umrahmte sein pickelgeplagtes Gesicht. „Hätten S‘ Interesse an unserem Katalog mit leckeren Schmankerln?“ Ich fragte mich, wie so ein Schmierlapp bei der Feinkostkette landen konnte. „Ja – nein – vielen Dank“, kam es stotternd aus mir heraus. „Na was denn nun, Gnädigste?“, schnurrte die Jacke. „Ist doch unverbindlich: Schauen, Lesen, Lust bekommen! Ganz oanfach! Wir melden uns dann telefonisch, wanns was gefunden hobn oder eben ned.“ Ich wurde leicht nervös. Warum schaute mich der Schorschi so merkwürdig lüstern an? Er formte mit den Händen zwei imaginäre Kugeln nach und trat einen Schritt auf mich zu: „I hob do ganz feine, knusprige Haxen und wunderbare Knödeln im Angebot!“ „Na gut, dann her damit!“, sagte ich ungehalten und wich zurück. Mister Schmalzlocke leckte sich die Lippen. Aus der überdimensionalen Jackentasche zog er einen Katalog hervor und reichte ihn mir, während Schaum aus seinem Mund sprudelte. „Danke und Tschüss“, schrie ich und schmiss die Tür zu. „Moment, I brauch noch die Telefonnummer“, hörte ich  Schorschi  rufen. „Hab kein Telefon!“, brüllte ich zurück und atmete auf. Ich war froh, diesem Wiener Würstchen entkommen zu sein. Nils brabbelte. Ich spürte einen kühlen Luftzug an der Brust. Im Dielenspiegel sah ich dann das Problem und wusste, warum Eisfürst – Schorschi so anzüglich war: Nils hatte meine Bluse aufgeknöpft, nachdem er den Bananenbrei abgeschleckt hatte. Ohne es zu bemerken hing mein linker Busen, in seiner ganzen Pracht, völlig frei in der Gegend herum. Mein Sohn erinnerte sich offensichtlich daran, dass sein Hunger aus diesen fleischigen Knödeln gestillt werden konnte. (c) A.Z.

 

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